Eine weitere Geschichte

Nach einer wahren Begebenheit

 

Der Film „Mädchen in Uniform“ liegt mir sehr am Herzen. Aus verschiedenen Gründen. Einer davon ist, dass ich eine ähnliche Geschichte durchlebt habe. Damals wusste ich vieles noch nicht. Erst der Film hat mir die Augen geöffnet und mich dazu gezwungen über diese 2 Jahre aus meinem Leben noch einmal genau nachzudenken und sie zu verstehen.

 

Sie war meine Klassenlehrerin in der 9 und 10. Klasse. Ich war 14/15 Jahre zu der Zeit. Ich erinnere mich noch an den ersten Schultag. Die Jahre davor hatten wir eine ganz schreckliche Lehrerin und das Einzige was ich mir gewünscht und gehofft hatte war, dass sie nett ist. Als sie in unser Zimmer kam und lächelte, wusste ich sofort, dass alles gut werden wird. Sie strahlte eine unglaubliche Freude und Freundlichkeit aus. Frau Schmidt (Name geändert) war 26 zu der Zeit, hatte blonde Haare, blaue Augen, ganz lange Wimpern, eine schlanke Figur, war mittel groß und besaß ein ansteckendes Lächeln. Erstaunlicherweise war ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie in meinem Leben richtig verliebt gewesen. Ich wusste nicht, wie es sich anfühlte. Ich hab auch nie versucht, dass was ich für sie empfand, zu verstehen oder in eine Schublade zu stecken. Ich habe es einfach so hingenommen, ohne darüber nachzudenken. Ich wusste, sie war meine Lehrerin, sie war viel älter und sie war eine Frau. Trotz dessen wusste ich aber auch, dass sie zu diesem Zeitpunkt der Mensch war, der mir am meisten am Herzen lag. Diese zwei Jahre waren die schwierigsten. 

Heute bin ich aber dankbar dafür. Wäre ich damals vielleicht nicht in diesem Loch gefangen gewesen, wäre vieles vielleicht ganz anders gekommen. Jeder Schüler liebte sie. Sie war wundervoll. Eine Lehrerin, Mutter und Freundin zu gleich. Trotzdem respektierte jeder sie, weil sie wusste, wo die Grenzen lagen und sie trotz ihrem freundlichen Wesen auch richtig böse werden konnte, wenn wir etwas vermasselt hatten. Trotzdem wussten wir, dass wir ihr alle am Herzen lagen. Und das hatten wir davor noch nie erlebt. Wir hatten nur Lehrer, denen wir egal waren, die einfach nur ihren Job gemacht haben, die keinen von uns als Individuum angesehen haben. Doch sie tat es. Sie zeigte uns, dass sie sich für jeden Einzelnen von uns als Mensch interessierte, dabei aber keine Ausnahmen machte und niemanden bevorzugte. Schließlich waren wir alle “ihre Kinder“. Ihr Charakter erinnert mich sehr an den von Fräulein von Bernburg (die von Lilli gespielte) wenn ich jetzt zurückblicke. Die beiden haben wirklich sehr viel gemeinsam. Alles fing aber erst richtig 2 Monate später an, als wir gemeinsam ins Schullandheim gefahren sind. Wie bereits erwähnt hatte ich in der Zeit eine sehr schwierige Phase gehabt. Als wir dann im Schullandheim waren, ging es mir ab dem 3. Tag überhaupt nicht gut und ich blieb im Zimmer, während alle anderen Spiele spielten. Es war bereits spät, nach dem Abendessen und ich war alleine in meinem Zimmer. Dann kam meine Zimmergenossin herein und meinte Frau Schmidt möchte mit mir reden. Plötzlich bekam ich Angst. Ich dachte, sie könnte vielleicht böse auf mich sein, dass ich nicht mit runter gekommen bin. Ich fragte meine Freundin, was sie denn wolle, doch die hatte nur mit den Schultern gezuckt und gemeint sie würde wieder zu den anderen gehen. Mit klopfendem Herzen ging ich also runter und machte mich auf die Suche nach ihr. Fand sie dann auch gleich. Sie meinte, sie möchte mit mir alleine irgendwo reden. Erst mal haben wir ein leeres Zimmer gesucht. Doch alle waren belegt. In der Not sind wir dann in eine größere Besenkammer. Es gab nur einen Stuhl. Sie bat mich, mich zu setzen und kniete vor mir, um mit mir auf Augenhöhe zu sein. Dann fragte sie mich, was los sei, ob es mir nicht gut ginge. Dabei lag ihre Hand die ganze Zeit auf meinem Oberschenkel. Bis dahin hatte ich mit niemandem über meine Probleme geredet. Weder mit Freunden und schon gar nicht mit meinen Eltern. Als sie da vor mir kniete und mich mit ihrem warmen, liebevollen Blick anschaute, hatte ich plötzlich das Gefühl ich will ihr alles erzählen. Sie soll alles wissen. Aber nur sie. Als hätte ich ihr mein Tagebuch überreicht, wie Manuela es tat. Also sprudelte alles aus mir heraus und es tat so gut. Sie hörte die ganze Zeit aufmerksam zu. Sie trug damals einen von diesen typischen Weihnachtspullis  mit einem Rentier drauf. Komisch, dass man sich an so etwas erinnert. Vermutlich, weil ich die ganze Zeit darauf starrte, da es mir schwerfiel ihr in, die Augen zu schauen. Wir redeten eine Weile. Dann sagte sie „Alles wird gut.“ und umarmte mich ganz lange und ganz fest. Als ich danach auf mein Zimmer ging, hatte ich das größte Grinsen in meinem Gesicht und ich fühlte mich, als wäre bereits alles gut, als würde mich nichts mehr belasten und als wäre ich der glücklichste Mensch auf der Welt. Die darauffolgenden Tage konnte ich an nichts anderes mehr denken.  Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass sie und ich ein Geheimnis haben, was uns verbindet und was sie mit keinem anderen hatte. Zum ersten Mal fühlte ich mich wieder geliebt. Ein paar weitere Tage blieben uns dort. Am letzten Tag spielten wir als Klasse gemeinsam einige Spiele. Auch Frau Schmidt war dabei. 

Jedoch wollte sie nur zuschauen. Ich weiß heute gar nicht mehr, was für Spiele das waren oder worum es ging. Das Einzige, was ich noch weiß ist, dass man sich zusammen mit einem Partner tat. Am Anfang hielt man sich an den Händen irgendwann, musste man sich auf den Schoß des Partners setzen und anders herum. Mir ging es schon viel besser. Trotzdem wollte ich nicht mitspielen und saß an der Seite, während die anderen spielten. Während des Spieles kam Frau Schmidt zu mir und fragte, ob ich denn bei der nächsten Runde nicht mitspielen wolle. Ich verneinte und selbst wenn hätte ich keinen Partner. Dann lächelte sie mich an, streckte mir ihre Hände entgegen und deutete an sie zu nehmen. Erstaunt und erschrocken schaute ich sie an. Dann nahm sie meine Hände und sagte mit einem Lächeln „Komm“. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Mir schlug das Herz so bis zum Hals, dass ich Angst hatte, sie könnte es hören. Wir hielten und sie ganze Zeit an den Händen und dann kam auch der Teil mit dem „auf dem Schoss des Partners sitzen“. Auch das taten wir. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Als wir dann am letzten Tag nach Hause fuhren, fingen direkt die Weihnachtsferien an. Eines Morgens sah ich dann, dass ich eine E-Mail von ihr bekommen hatte. Sie schrieb mir, dass sie die letzten Tage immer an mich denken musste und überlegt hat, wie sie mir helfen kann. Auch das ich ihr zu jeder Tageszeit und zu jedem Thema immer schreiben kann. Ich schrieb ihr sofort zurück und erklärte ihr noch mal meine jetzige Situation etwas genauer. Wir schrieben immer in Englisch miteinander. Und das ab da an fasst jeden Tag. Sie versuchte wirklich einiges und nahm sich sehr viel Zeit für mich. Damals war mir das gar nicht so klar, wie viel sie wirklich für mich getan hat, wie viel Zeit sie für mich geopfert hat und wie wichtig sie mir war. Sie schrieb mir oft, dass sie stolz auf mich sei, dass ich ihr nicht egal bin und sie sich wirklich für mich interessiere, dass ich ihr wichtig war. Ich freute mich plötzlich jeden Tag in die Schule zu gehen, und wenn ich eine Nachricht von ihr bekam, machte mein Herz einen Hüpfer. Wir schrieben über die zwei Jahre hinweg viele Nachrichten. Sie sagte mir wie hübsch, talentiert und intelligent ich sei und dies tat sie immer und immer wieder. Sie sagt, sie würde es so lange machen, bis ich es glaube und selbst wenn sie es tausendmal sagen muss. Auch schrieb sie, dass ich niemals aufgeben soll, ich ihr eine Chance geben soll mir zu helfen und sie sich niemals vergeben würde, wenn sie es nicht schaffe. Sie sagte, sie wäre immer für mich da und das war sie auch. Sie erkundigte sich oft, wie es mir ging. 

Vor allem wenn ich nicht in der Schule war. Es würde sie glücklich machen, wenn ich glücklich wäre. Eines Tages fragte sie, ob sie einen Termin bei einer Psychologin für mich machen soll. Sie wusste, ich hatte Angst davor, trotzdem stimmte ich zu. Ich wollte sie nicht enttäuschen. Sie rief für mich an und machte den Termin. Sie sagte, sie würde mich hinfahren und zusammen mit mir gehen. Eines Tages war es dann so weit. Sie hatte lange Unterricht. Ich wartete auf sie. Als sie dann kam, fuhren wir zusammen mit ihrem Auto dort hin. Sie wich keine Sekunde von meiner Seite. Als ich dann dort war und die Psychologin mich Dinge fragte, merkte ich, dass ich das gar nicht wollte. Ich wollte dieser fremden Frau auf dem Stuhl mir gegenüber nichts sagen. Was ich wollte, war die Frau, die jetzt neben mir saß. Sie war die einzige Person, die es schaffte, dass ich mich besser fühlte. Mehr brauchte ich gar nicht. Trotzdem versuchte ich mein bestes, um sie nicht zu enttäuschen. Nach der Sitzung gingen wir erst mal schweigend zu ihrem Auto zurück. Dann sagte sie einige Dinge, an die ich mich aber heute leider nicht mehr erinnere. Es gab einige Sachen, die sie gesagt oder getan hatte von denen ich nur noch weiß, dass sie mir damals viel bedeutet haben und ich viel über sie nachgedacht hatte. Trotzdem fallen mir heute viele davon einfach nicht mehr ein. Das einzige an das ich mich von diesem Tag erinnere, ist ihr Satz „Weißt du…, du hast schöne Augen.“ Davor hatte sie mir so etwas nie direkt ins Gesicht gesagt. Immer nur über ihre Nachrichten. Ich weiß noch, dass ich wie eine Tomate rot anlief. Auf dem Heimweg erzählte sie mir einige Sachen. Auch private Dinge von ihr. Auch gab sie mir ihre Handynummer. Ohne dass ich es richtig merkte oder begriff, fing sie nun doch an Ausnahmen zu machen. Eines Tages vergaß ich, was wir in Englisch auf hatten. Also fragte ich sie Sie wusste, dass ich sehr gut in Englisch bin und sagte mir ich müsse es nicht machen. Mir war damals unsere ganze Situation nie wirklich bewusst gewesen. Wie viel sie für mich opferte, was meine Gefühle waren, was vielleicht ihre waren. Damals wusste ich nicht wirklich viel über die Liebe. Ich wusste nicht einmal, dass so eine Liebe möglich war. Einmal schob sie mir während des Unterrichts einen Zettel zu. Darauf stand nur „Danke!“ und darunter hatte sie zwei Blumen gemalt. Diesen Zettel hing ich an meine Schrankwand. Dort hängt er bis heute. Seitdem ich meinen Abschluss gemacht habe und sie hinter mich lies liegen nun 3 Jahre. Das mag vielleicht eine sehr kurze Zeit sein, doch für mich fühlt es sich wie eine Ewigkeit an. Vor ein paar Wochen schrieb sie mir zum ersten Mal wieder eine Nachricht. Sie sagte nur „Siehst du jetzt endlich, wie hübsch du bist?“ Wir schrieben ein paar Zeilen. Sie erzählte mir, dass sie jetzt in London wohnt, dass sie immer wusste, ich würde meinen Weg gehen und sie diese Zeit, unsere Zeit, damals geliebt hat. 

 

Geschichte original von Franziska H. erzählt und einer wahren Begebenheit (zum Thema/Film Mädchen in Uniform 1958). Mich hat es sehr berührt. Vielen Dank liebe Franzi! ^^

 

 

 


(C) Nina    Quelle: Gespendet und mit Einverständnis hier veröffentlicht